Die anhaltend expansive europäische Geldpolitik hat die Nachfragemacht der Kreditnehmer im Jahr 2018 weiter gestärkt. Immer mehr Finanzierungen begnügen sich mit einem „synthetischen“ Proforma-EBITDA und „kreativen“ Kennzahlen. Den höchsten Anstieg solcher Covenant-Lite-Konstruktionen verzeichnen syndizierte Leveraged-Loan-Emissionen. Aber auch Unternehmen in Stresssituationen können sich im Niedrigzinsumfeld vergleichsweise leicht refinanzieren. Liquidität ist ausreichend vorhanden – Qualität rückt in den Hintergrund. Refinanzierung ersetzt Restrukturierung. Strategische Lücken, ertragsseitige Schieflagen und strukturelle Schwächen werden verdrängt.
In diese Zeit fällt die aktuelle Neufassung des IDW S 6. Im Jahr 2009 verabschiedet und im Jahr 2012 aktualisiert, hat sich der „S6“ als betriebswirtschaftlicher Standard zur Erstellung und Begutachtung von Sanierungskonzepten etabliert. Im Mai 2018 wurde vom IDW eine Neufassung des Standards verabschiedet. Rechtlich verbindlich bleibt aber allein die Rechtsprechung des BGH. Er stellt wiederholt fest, dass ein Sanierungskonzept nach S6 Standard die Voraussetzungen des BGH zwar erfüllt, aber dessen formelle Anforderungen nicht zwingend sind. Während der IDW bisher bemüht war einen engeren Bezug zur BGH-Rechtsprechung herzustellen, orientiert sich die aktuelle Neufassung verstärkt an Forderungen nach geringerem Umfang und niedrigerer Komplexität aus der Sanierungspraxis.
Nicht erst seit der Neufassung des IDW S6 aber gilt „weniger ist mehr“. Umfang und Gewichtung eines Sanierungskonzepts ergeben sich regelmäßig aus der spezifischen Unternehmenssituation. Ein erfahrener Konzeptersteller vermeidet Datenfriedhöfe und konzentriert sich auf fall- und problemorientierte Analysen. Er dokumentiert seine Auswahlentscheidungen, die die Basis für den Konzeptaufbau bilden. Dabei berücksichtigt er, dass auch mit der Sache unbefasste Leser das Konzept zu einem späteren Zeitpunkt noch nachvollziehen können.
Die Neufassung des IDW S6 2018 berücksichtigt die aktuellen Bedingungen nur teilweise. Sanierungsgutachten gelten vor allem als Zwangsmaßnahme der finanzierenden Banken. Häufig fehlen im Unternehmen die notwendige Kriseneinsicht und der Sanierungswille. Wozu auch teure Gutachten beauftragen, wenn es keine Krise gibt und nur eine Refinanzierung benötigt wird? Dafür sollte doch eigentlich ein „Quick Check“ oder Independent Business Review (IBR) genügen. Aber: Zur Refinanzierung von Krisenfällen setzt MaRisk ein Gutachten zur Sanierungsfähigkeit voraus. Und: Ohne professionelles Konzept ist eine Sanierung unglaubwürdig und weitestgehend dem Zufall überlassen.
Angesichts der beschriebenen Finanzierungssituation und Sichtweise mancher Entscheider sollte das Merkmal der „Sanierungswürdigkeit“ nicht in Vergessenheit geraten: Im Unterschied zur Sanierungsfähigkeit orientiert sich die Sanierungswürdigkeit überwiegend an subjektiven Kriterien. Die Sanierungswürdigkeit ist nur dann gegeben, wenn Gläubiger und Eigentümer überzeugt sind, nach der Sanierung besser gestellt zu sein, als bei einer Schließung oder einem Verkauf. Zur Herstellung dieser „Überzeugung“ sollten alle Beteiligten deshalb eigentlich ein originäres Interesse an einem vollständigen (und gutachterlich beurteilten) Sanierungskonzept haben.
Dementsprechend bezeichnend sind die gängigen Begründungen für fehlende oder unzureichende Sanierungskonzepte, etwa zusätzlicher Arbeitsaufwand, Zeitmangel oder hohe Kosten. Diverse aktuelle Beispiele dokumentieren denn auch die mangelnde Einsicht von Entscheidern. Betroffene sind Unternehmen und ihre Stakeholder. Sogar objektiv sanierungsfähigen Unternehmen wird dadurch die Chance auf Anerkennung ihrer Sanierungswürdigkeit entzogen. Die Neufassung des IDW S6 ändert daran leider auch nur wenig. CIC Consultingpartner freuen sich auf Ihre Meinung in der Sache und die Zusammenarbeit in kommenden Sanierungsfällen.
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